R. Bodenmann u.a.: Heinrich Bullingers Briefwechsel

Cover
Titel
Heinrich Bullinger, Briefe von Januar bis Mai 1546.


Herausgeber
Bodenmann, Reinhard; Alexandra, Kess; Judith, Steiniger
Reihe
Heinrich Bullinger 2: Briefwechsel
Erschienen
Zürich 2014: Theologischer Verlag Zürich
Anzahl Seiten
443 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Scheidegger

Am 18. Februar 1546 starb Martin Luther, und im Juli desselben Jahres begann der mit grossem militärischem und propagandistischem Aufwand geführte Krieg zwischen Kaiser Karl V. und dem Schmalkaldischen Bund, einem Bündnis von protestantischen Landesfürsten und Städten zum Schutz der evangelischen Religion. Die für den Protestantismus bedrohliche Situation erklärt, dass 420 überlieferte Briefe des Jahres 1546 an und von Heinrich Bullinger gezählt werden, während es im Vorjahr nur 259 sind. Die Zahl der Schreiber ist mit 47 Korrespondenten im Vergleich zu 1545 nur wenig grösser.

Da der Umfang es den Herausgebern nicht erlaubt hat, alle Briefe des Jahrgangs in einem einzigen Band zu veröffentlichen, enthält der vorliegende Band nur die Korrespondenz der Monate Januar bis Mai (134 Stücke). Davon stammen 54 Briefe aus der Eidgenossenschaft, 67 aus dem süddeutschen Raum, wobei Augsburg (25) und Konstanz (24) herausstechen. Der wichtigste Korrespondent war auch in dieser Zeit Ambrosius Blarer in Konstanz (17% der überlieferten Briefe), während die Kontakte nach Augsburg weiter ausgebaut wurden. Verantwortlich für letzteres war der in Zürich und anderswo ausgebildete Johannes Haller (gest. 1573 in Bern), den Bullinger für ein Pfarramt in Augsburg vorgeschlagen hatte und der Ende Februar ebendort eine feste Anstellung bekam, was dem Strassburger Reformator Martin Bucer und anderen lutherisch gesinnten Theologen missfallen musste. Aus diesen Briefen ist einiges über das kirchliche Leben in Augsburg, zum Beispiel von einem wöchentlichen Predigtplan, aber auch über die Politik im Reich zu erfahren. Am Beispiel von Augsburg offenbart sich einmal mehr das Ziel von Bullingers Korrespondenz: er wollte gut informiert sein und Einfluss auf die kirchliche Entwicklung in anderen Territorien nehmen, natürlich nicht nur in Augsburg. In Bern liess er die politische Obrigkeit warnen, weil ein dortiger Student ein lutherisches Abendmahlslied mit polemischer Spitze gegen die Reformierten verfasst hatte, was in der Folge zur Entlassung des Professors Thomas Grynäus führte. Zurecht gilt darum der langjährige Vorsteher der Zürcher Kirche als ein Vater des reformierten Protestantismus, hat er doch durch Publizistik, Stellenbesetzungen, Gutachten und persönliche Ratschläge wesentlich zur internationalen Ausbreitung der reformierten Theologie beigetragen.

Theologisch war Bullinger höchstens zu kleinen Kompromissen bereit, da er in der Überzeugung lebte, es gebe nur eine einzige richtige Auffassung. Das kann gut beim Abendmahlsstreit beobachtet werden, der ihn weiterhin beschäftigte. Dabei zeigte sich der Zürcher Antistes als geschickter Taktiker, indem er nach aussen den Schein der evangelischen Einheit pflegte, gleichzeitig aber alles unternahm, damit sich das reformierte Verständnis in möglichst vielen territorialen Kirchen durchsetzen würde.

Bullinger scheut keinen Einsatz und greift auch dann noch zur Feder, wenn er vor Arbeitsüberlastung am Ende seiner Kräfte ist. Er beherrscht das Briefeschreiben wie kaum ein anderer, verzichtet auf ausgefallene Formulierungen, schreibt klare, häufig kurze Sätze und geht immer taktisch vor, etwa wenn er versucht, die Sympathie der Unentschlossenen durch Freundschaftsdienste zu gewinnen. Auf die Nachricht von Luthers Tod riet er Johannes Haller in Augsburg, sich ehrwürdig über den Verstorbenen zu äussern. Einen solchen Ton schlug Bullinger in seinem Brief an Philipp Melanchthon selbst an. Der Vorschlag eines Freundes, die von Melanchthon an Luthers Beerdigung gehaltene Grabrede in Zürich nachzudrucken, stiess beim Zürcher Kirchenvorsteher jedoch auf kein Gehör. Im Ton konnte Bullinger entgegenkommend sein, in der Sache nicht. Gegenüber einem vertrauten Korrespondenten meinte er sarkastisch, dass sich die Aussichten auf eine Rückkehr zur reinen Abendmahlslehre erst verbessern würden, wenn auch Bucer stürbe. Bullingers taktisches Verhalten zeigt sich auch an seiner Reaktion auf die Frage des in Strassburg weilenden englischen Reformators John Hooper, ob ein Christ auch nicht reformierte Gottesdienste besuchen dürfe. Um sicher zu gehen, dass seine Zeilen nicht in falsche Hände geraten, schickte Bullinger die schriftliche Antwort an den Zürcher Studenten Ludwig Lavater mit dem Auftrag, diese dem Fragesteller laut vorzulesen.

Aus dem Briefwechsel mit Schülern in der Fremde sind interessante Einzelheiten über das Studentenleben und Schulwesen der Zeit zu erfahren. Ludwig Lavater, Sohn des Zürcher Bürgermeisters, berichtet zum Beispiel aus Strassburg nicht nur über die besuchten Vorlesungen von Peter Martyr Vermigli und anderen Gelehrten, sondern auch wie er nach vorübergehender Aufnahme in der beliebten Studentenpension von Matthias und Katharina Zell beim Lutheraner Johannes Marbach für 30 Gulden jährlich Unterkunft gefunden hat. Dabei unterlässt er es nicht, Bullinger zu versichern, dass für seine reformierte Überzeugung keine Gefahr bestehe, was dem weit blickenden und konfessionell eher engherzigen Bullinger nicht besonders gefallen haben dürfte. Tatsächlich sollte Marbach in Strassburg wenig später eine lutherische Konfessionalisierung auslösen und so den Einfluss der reformierten Theologen systematisch zurückdrängen.

Nur ein marginales Thema im vorliegenden Band ist dagegen das im Dezember 1545 eröffnete Konzil von Trient aus dem einfachen Grund, dass Bullinger und die meisten Protestanten sich nichts davon erhofften. Dafür erlauben die edierten Briefe Einblicke in vieles andere, u.a. in die Entstehung der eidgenössischen Chronik von Johannes Stumpf, die nicht die Arbeit eines einzelnen, sondern mehr ein Gemeinschaftswerk ist, zu dem Joachim Vadian und andere Gelehrte wichtige Beiträge beigesteuert haben. Überhaupt ist in den Briefen immer wieder von Büchern die Rede. Interessant ist, dass der Katholik Jost von Meggen den Bericht über seine Pilgerreise ins Heilige Land Bullinger zuschickte, der Zürcher Protestant das Manuskript überarbeitete und es anschliessend an den Verfasser retournierte. Im Druck erschien die Schrift erst 1580; ob mit oder ohne Bullingers Korrekturen und Ergänzungen, bleibt zu untersuchen.

Die Herausgeber haben mit diesem Teilband wiederum eine beachtliche Arbeit geleistet. Zum Schluss sei noch auf die mit guten Recherche und Navigationsmöglichkeiten ausgestattete digitale Ausgabe aufmerksam gemacht; eine neue Fassung davon ist bereits in Vorbereitung.

Zitierweise:
Christian Scheidegger: Rezension zu: Heinrich Bullinger, Briefe von Januar bis Mai 1546, bearb. von Reinhard Bodenmann/Alexandra Kess/Judith Steiniger (= Heinrich Bullinger Abt. 2: Briefwechsel), Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 434-435.

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